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Nicht wollen oder nicht können

Eine Mitarbeiterin kam ins Büro: Kannst Du mal eben mit dem Stempel nach draußen kommen? Da braucht ein Kunde ein Autogramm fürs Arbeitsamt.
Ich sah mich im Geiste schon vor der Frage: Stempel ich oder stempel ich nicht?
Aber diesmal ging es im Laufe des Kurzbewerbungsgespräches nicht nur um eine Gefälligkeitsunterschrift für einen Stammkunden als Nachweis fürs Arbeitsamt, so daß ich guten Gewissens das mangelnde Interesse an Bewerbern dokumentieren konnte.
Dieser Kunde wollte sich um einen Job bewerben, konnte es auch, aber da mein Personalbudget schon aus allen Nähten kracht, konnte ich ihm finanziell bedingt keine Perspektive bieten.
Oft genug aber sind angebliche Interessenten in derartigen Initiativbewerbungen nicht ernsthaft interessiert. Sie sagen das auch ganz deutlich, wenn ich um Einreichung von Bewerbungsunterlagen bitte. Wobei mir das Ausfüllen eines Personalbogens meistens ausreicht, Hochglanzbewerbungen erwarte ich nicht, nicht einmal Fotos. Aber es gibt Leute, die nicht einmal Lust und Zeit haben, sich wenigstens den Anschein einer echten Bewerbung geben zu wollen.
Es gibt neben echten Bewerbungen und Pseudobewerbern auch andere Initiativbewerber, sie wollen sich bewerben, können es aber nicht. Weil es ihnen niemand beigebracht hat. Erst kürzlich stand solch ein bedauernswerter Kerl an der Lagertür und fragte nach einem Job.
Er hatte keine Ausbildung und keinen Schulabschluß. Er hätte mal eine berufsschulgestützte Maßnahme vom Arbeitsamt mitgemacht, die hätten ihn aber als lernunfähig abgestempelt und jetzt bekäme er vom Arbeitsamt auch keine Ausbildungsangebote mehr. Wie traurig ist das denn? Mir kam sofort die Galle hoch und ich war schon drauf und dran, beim Arbeitsamt anzurufen und denen meine Meinung zu geigen. Da ich aber wegen eines dringenden Anrufes etwas in Zeitdruck war, gab ich den Bewerber an eine qualifizierte Mitarbeiterin weiter. Den weiteren Verlauf des Gespräches also nun vom Hörensagen.
Wir haben dem jungen Mann nach einem langen Gespräch ein Praktikum angeboten. Er wäre nicht der erste, den wir mit viel Geduld unter unsere Fittiche nehmen, wir haben uns auch schon um Injobber mit Sprachproblemen und Praktikanten mit Lernschwierigkeiten gekümmert. Die Sonderschülerin im Praktikum hat sich hier jedenfalls sehr wohl gefühlt und auch viel gelernt.
Mal gucken, wie es mit diesem potentiellen Sorgenkind weitergeht, er wollte seine Unterlagen zusammensuchen und wiederkommen. Wenn er kommt, werden wir versuchen, ihn hochzupäppeln. Lernresistent? Das wollen wir doch mal sehen! :-)

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Kommentare

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clemensk am :

ehrlich? ich finds toll. aber sowas geht auch nur in einem supermarkt. wir versuchen auch abundzu soetwas. aber in einem produktionsbetrieb wird dann zuviel falsch gemacht - das ist ein kostenpunkt der enorm ist.

Name am :

Ja.

Rohlinge in die Maschine stopfen und auf Start drücken ist sicherlich sehr schwer.

clemensk am :

hmm ich lad dich mal ein: pdf korrigieren (cmyk, fogra), file ausschiessen, maschine kalibrieren (delta e5) bogen seitenrichtig drucken, laufrichtung beachten, dehnung beim durchlauf nachstellen, schneiden, falzmaschine justieren, und verpacken.

Name am :

Jemand sollte dann hier Stellung beziehen.

Michael_DF am :

Respekt. Ein feiner Zug von euch. Den Anruf beim Arbeitsamt würde ich aber trotzdem machen. Auf solche Mängel kann man garnicht oft genug hinweisen. Und vielleicht weiß der Chef des zuständigen Sachbearbeiters garnichts davon...

MfG

Lars am :

Warum gibt es für Leute / Unternehmer mit solch einem Engagement eigentlich keine Förderung/Prämien? Oder gibt es sowas, es reizt aber nicht genug? Wirklich ein guter Zug von dir.

Marcus T. am :

Ganz grosse Hochachtung vor Deiner Denke !!
Es gibt nunmal Leute die wollen - aber scheitern am Normraster und verzweifeln irgendwann daran.

Deine Methode des "Chance gewähren" gibt diesen Leuten eine Möglichkeit zu beweisen, das sie eben doch was können und sich durchbeissen wollen. Das hebt ihr Selbstwertgefühl und macht ihnen Mut.

Aber in 99% der Fälle scheitern solche Menschen an Krawattenfaschisten und Assessment-Centern.

Mach weiter so... !

Andreas am :

Meine Hochachtung!
Ich bin beruflich auf solche Partner angewiesen und freue mich sehr euer Engagement. Das es letztlich leider viel zu wenig gibt.
Danke.

Übrigens - ich bin ein Stammleser. Ein sehr gut gemachter Blog!

Andre Heinrichs am :

Ich schließe mich den Vorkommentatoren direkt an. Ich finde es gut, dass Du - trotz geringem verfügbaren Personal-Budget - bereit bist, den Bewerber angenommen hast. Die Geschichte liest sich jedenfalls so, als hätte der Mann ziemlich genau keine Chancen in den allermeisten Betrieben. Dabei kann er sehr wahrscheinlich gut für Aufgaben eingesetzt werden, die sonst nicht so beliebt sind (Waren im Regal ordentlich ausrichten fällt mir spontan ein).

Daumen hoch dafür, dass Du bereit bist, ihm eine Chance zu geben.

Name am :

Was macht dein Betrieb eigentlich für diese Menschen? Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass solche Menschen an das Internet-Zeitalter herangerführt werden. Zum Beispiel in diversen Blogs "Live-Chat" ausführen?

h am :

.....den Bewerber anzunehmen......ist es das, was Sie meinen?
dann sollten Sie es auch so schreiben........

heinzi am :

Klasse, Björn - alle Achtung!
Ich kenne aus unserem Betrieb die "Stempelbewerbungen" auch. Ich bin dann hin und hergerissen: Stempel ja oder nein? Bei uns gibts jedoch nur dann den Stempel, wenn durch das Ausfüllen des Personalfragebogens erkennbar wird, dass es sich um eine halbwegs ernsthafte Bewerbung handelt.

Stephan am :

Björn, von Leuten wie dir (und selbstverständlich auch deinem Team) müsste es mehr geben!

Hife am :

*unterschreib*

Die Agentur für Arbeit ist eh der letzte Dreck. Leute die Arbeiten wollen bekommen nichts, die die es nicht wollen bekommen alles nachgeschmissen. Ist mir unter Bekannten schon so oft aufgefallen...

Balu am :

Eigentlich wurde alles gesagt.

Solche Beitraege helfen immer wieder dazu bei, dass mein sonst ueblicher Gedanke "die Welt ist schlecht" sehr stark in den Hintergrund rueckt.

Danke.

Dirk Frieborg am :

Da kann man vor Dir echt nur den Hut ziehen. An allerlei Vorschriften und Richtlinien vorbei, nur auf Gutdünken...

Anders kommen "solche Leute" aber nicht weiter, auch wenn sie wollen und können. Ohne Schein kein Sein.

Meine vorzüglichste Hochachtung. Wirklich.

Möge das, was Du unternimmst, den Leuten helfen, ein Bein an Deck zu kriegen. Dann schaffst Du mehr als die BAfA. ;-)

Hilli am :

Super! Absolut klasse! Find ich ganz toll, dass du das machst!! Traurig aber zu sehen, dass das Arbeitsamt bei euch genauso toll funktioniert, wie das unsere in Köln. Ist doch im Allgemeinen ein echter Sauhaufen *mir schwillt schon wieder der Hals bei dem Gedanken* Müsste mehr Arbeitgeber mit deiner Einstellung geben, Daumen hoch!!! :-)

Friesenjung am :

Hatte mich gerade über "solche" Leute vorgestern mit einem Bekannten unterhalten. Er ist als Hilfsausbilder beim Landkreis damit beschäftigt, gerade diese Leute zu fördern und auszubilden.
Er erzählte mir von einem, der gerne Maler werden möchte, allerdings an der Mathematik scheitert. Er würde mindestens einen Tag brauchen, um auszurechnen, wieviel Tapete und Farbe für ein Zimmer benötigt wird wenn x Fenster drin sind.

Tapezieren kann er super, aber keine Firma will ihn einstellen weil er wegen seiner Matheschwäche keinen Hauptschulabschluss hat.

Daher ist das Engagement von Leuten wie dir gar nicht hoch genug zu bewerten!

Siggi am :

Letztens stand ich im China-Imbiss, als ein dubioser Typ einen Stempel haben wollte. Ich dachte erst, fürs Arbeitsamt. Aber nein, er sammle Stempel wie andere Menschen Briefmarken. Das zerfledderte Buch, in das der Stempel sollte, zeigte auch deutlich das Interesse an seinem Hobby. Kurzum - eigentlich wollte er ja eine kleine Spende.

Ich nehme an, der Stempelschwindel sollte eine kurzfristige Bindung an den Inhaber aufbauen, damit der ihn nicht sofort rausschmeißt. Geld gabs trotzdem keins, der Laden hatte erst aufgemacht.

lorenz am :

cool. ich finds gut dass ihr dem ne chance gebt. "lernunfähig", son scheiss. so würd ich eher einige sachbearbeiter in gewissen behörden, ämtern etc... nennen.

madam lea am :

*beifall klatsch* :-)
ich wünsche mir dass es mehr solche geschäftsleute gäbe .___.''

Florian Vogelmaier am :

Wow, absoluten Respekt!!

Einem Bekannten eines guten Freundes von mir geht es ähnlich, jedoch sitzt der dann ab und zu im Bau, weil er nix sinnvolles zustande bringt ...

Viel Erfolg :-)

Karenja am :

also ich kann mich den anderen nur anschliessen, ganz große klasse.
es ist super, dass es leute gibt die so jemanden nicht abschreiben, wobei es von diesen leuten echt zuwenig gibt.

Good Luck! :-)

chil am :

Is er wieder gekommen? Wenn ja, welche Aufgaben habt ihr ihm denn gegeben und wie macht er sich?

Karsten am :

SUPER!!!!! Weiter so!

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