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Stille Stunde

Vor einigen Wochen hatte mich eine Frau via E-Mail angeschrieben und mich auf das Thema "Stille Stunde" angesprochen. Was das ist, könnt ihr auf der verlinkten Seite selber nachlesen. Ich ignorierte die Mail, denn eigentlich konnte ich nur verlieren.

Nun hat mich die Absenderin mal persönlich hier im Markt angesprochen, da musste ich ihr natürlich eine Antwort liefern.

Laut der oben verlinkten Website sind dies die Maßnahmen, die man umsetzen soll:

Basis-Maßnahmen:

· Mindestens eine Stunde wöchentlich
· Licht, möglichst dimmen
· Keine Durchsagen oder Musik
· Keine lauten (Handy-) Gespräche
· Keine aktiven Displays

Zusatz-Maßnahmen:

· Geräusche an der Kasse reduziert
· Angestellte deutlich gekennzeichnet für Unterstützung
· Waren werden in dem Zeitraum nicht sortiert und eingeräumt
· Oder was immer Sie selbst noch bereit sind zu tun (bzw. nicht zu tun)
· Angestellte begleiten auf Wunsch den Einkauf
Ich bin nicht betroffen, daher ist es natürlich immer leicht, sowas abzubügeln – aber ich mache es trotzdem. Bleiben wir bei den Basis-Maßnahmen: Unser Licht können wir nicht dimmen, höchstens einzelne Teile das Ladens dunkel schalten. Die Musik ist nicht übertrieben laut bei uns (es Modegeschäfte, da kann man sich nicht mal mehr vernünftig unterhalten), wird aber über eine Zeitschaltuhr gesteuert. Morgens an, abends aus. Da müsste dann jemand explizit dran denken und das ganze System abschalten. Durchsagen machen wir ohnehin nicht. Laute Gespräche führt hier keine und außer an der Kasse oder am Leergutautomaten haben wir keine Displays.

Die Geräusche an der Kasse bestehen vor allem aus dem Piepen des Scanners. Da kann man die Lautstärke einstellen, aber einige Mitarbeiter haben hier ihre persönlichen Präferenzen. Das ist ohnehin immer eine Gratwanderung zwischen "nervig laut" und "muss man noch hören können". Angestellte tragen Arbeitskleidung und begleiten auch jetzt schon die Kunden, wenn es sein muss.

Die lautesten Geräusche bei uns erzeugt ohnehin die Leergutannahme. Da klappern Kunden mit Flaschen und Kisten und das Rücknahmegerät ist nun auch nicht gerade leise. Diese Lärmquelle ließe sich gar nicht verhindern, sofern man nicht alle Kunden, die Leergut abgeben möchten, nachdem sie es teilweise mühsam hergeschleppt haben, verärgern wollte.

Ich glaube, einfacher wäre es, wenn geräuschsensible Menschen sich einfach einen Gehörschutz oder Kopfhörer (evtl. sogar mit Noise-Cancelling-Funktion) mit vertrauter Lieblingsbeschallung oder auch einfach Stille aufsetzen würden. Rennt doch ohnehin heute jeder zweite "zugestöpselt" herum, da fällt man ja inzwischen nicht mehr negativ mit auf und dann kann jeder für sich entscheiden, wieviel Stille er braucht.

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Kommentare

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franknord am :

Mhhhh... du unterschätzt was auch "nicht übertrieben laute" Musik für eine Wirkung hat. Wenn bei Menschen (wie bei mir) das Gehirn schlecht in der Lage ist, Unwichtiges herauszufiltern reichen schon Wortfetzen einer Sprache, die man nicht mal spricht um die Konzentration zu stören.
Alles, was da weniger ist, hilft. Und das Piepen einer Kasse macht da weniger Probleme als Musik, die ist ja deutlich komplexer.

Da in Kopfhörern die eigene Musik noch drüber zu legen ist für viele nur eine Notlösung. Nicht jeder kann sich Noise-Cancelling Kopfhörer leisten und komplett Still ists mit denen ja auch nicht. Abgesehen davon, dass man in beiden Fällen abgeschnitten ist, von der Umwelt ist und noch schlechter mitbekommt, was um einen herum passiert. Bei Migräne ist es oft so, dass überhaupt kein Denken daran ist, Kopfhörer aufzusetzen.

Also wenn du meinst, dass das bei dir im Laden nicht hinhaut ists halt so. Das Thema ist aber deutlich komplexer, als du dir da grad zusammenreimst. Ich kann dir aber versprechen, die Leute die es betrifft werden sich auch über eine "Stunde ohne Musik" freuen, wenn du es nicht Stille Stunde nennen möchtest.

Hendrick am :

Frank, herzlichen Dank für die interessanten Informationen.
Ich habe mir als Nichtbetroffener da nie Gedanken drum gemacht, obwohl auch ich die sog. stille Stunde sehr genieße, auch wenn ich glücklicherweise nicht drauf angewiesen bin.
Ich habe ebenso angenommen, daß Gehörschutz eine schnelle Abhilfe ist, natürlich mit den damit verbundenen Nachteilen - daß aber die Problematik so individuell sein kann, hätte ich nicht vermutet.

Sebastian M. am :

Als autistische Person kann ich unterstützen, was franknord geschrieben hat. Natürlich sind die Bedürfnisse jeder Person anders. Ich komme einigermaßen gut mit Supermärkten zurecht – solange ich Schirmmütze, Sonnenbrille und noise-cancelling Kopfhörer trage. An einem wirklich guten Tag und wenn nicht zuviel los ist, geht es sogar mal ohne Kopfhörer. Ohne diese Maßnahmen überstehe ich den Einkauf zwar auch, bin dann aber meistens sehr erschöpft danach.

Leider können selbst gute Kopfhörer nur begrenzt Umgebungsgeräusche herausfiltern: Geräusche wie das Brummen der Kühlanlagen werden ziemlich gut gefiltert, aber Musik, Gespräche im näheren Umfeld oder auch das Piepsen der Kasse eher nicht. Diese Geräusche werden lediglich etwas leiser.

Bei autistischen (und zum Teil auch anderen neurodivergenten) Menschen funktioniert die Reizfilterung anders als bei der Mehrheit der Menschen. Reize, welche die meisten Menschen automatisch ausfiltern, ohne dass sie überhaupt bewusst wahrgenommen werden, erreichen bei uns das Bewusstsein und müssen dort verarbeitet werden. Bei vielen gleichzeitigen Reizen, kann das sehr, sehr anstrengend werden. Und auch leise Musik oder das Rattern der Einkaufswagen auf dem Fließenboden gehören zu solchen Reizen.

Kleine Geschichte am Rande: Als ich das erste mal in einem amerikanischen Supermarkt einkaufen war, empfand ich die Atmosphäre sofort als anders und irgendwie weniger anstrengend. Nach ein paar Minuten wurde mir klar, was der Unterschied war: Der Markt hatte – was in den USA anscheinend viel verbreiteter ist als hierzulande – keinen Fliesen- sondern einen PVC-Boden. Und auf diesem machen die Einkaufswagen kaum Geräusche und Schall aus der Umgebung wird auch ganz allgemein weniger reflektiert.

Und das alles hat sich jetzt primär auf die Akkustik bezogen, aber es gibt auch Personen, denen es z.B. schwer fällt visuelle Reize zu filtern. Allein die Fülle an unterschiedlichen Waren, die in den Regalen stehen, kann dann schnell überfordernd wirken.

Kurz gesagt: Es ist wahrscheinlich kaum möglich ein Einkaufserlebnis zu schaffen, dass allen Menschen gerecht wird. Ich finde es aber sehr positiv, wenn zumindest Dinge, die einfach möglich sind (wie z.B. der Verzicht auf Musik und nicht zwingend notwendige Gespräche oder geräuschvolle Arbeiten), versucht werden. Neben den praktischen Vorteilen signalisiert mir das vor allem, dass man versucht Rücksicht zu nehmen und meine Bedürfnisse anderen nicht völlig egal sind.

Mitleser am :

Mach lieber eine Metal-Stunde.

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