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Der gewölbte Boden von Weinflaschen

Im Grunde haben alle Weinflaschen eine Einbuchtung am Boden, mal ist sie nur sehr schwach ausgeprägt, andere sind durchaus mehrere Zentimeter tief. Da in einer Weinflasche pauschal kein nennenswerter Überdruckt herrscht, wie es bei Schaumwein der Fall ist, ist diese Form also augenscheinlich nicht zwingend für die Statik des Bodens nötig. Gelernt habe ich irgendwann mal, dass diese Mulde dazu dient, beim Ausschenken den Daumen hineinzulegen und die Flasche elegant auf der Handfläche ruhen zu lassen, ohne sie komplett umgreifen zu müssen, was in der Gastronomie plump und unästhetisch aussehen würde.

Vor ein paar Tagen bin ich online über ein kleines Wein-Quiz gestolpert, wo auch die Frage gestellt wurde, wozu Weinflaschen am Boden diese Einbuchtung haben. Meine Antwort, nämlich dass man die Flaschen so besser greifen kann, war falsch, als richtig wurde die Antwort "Sie dienen dem Druckausgleich" angezeigt. Und ich so: :-O

Bevor ich mich darüber hier unreflektiert belustigen wollte, recherchierte ich erneut. Und fand eine Antwort. Und dann fand ich noch eine Antwort. Und dann noch eine. Und dann hatte ich die Suche erst mal beendet, bevor ich noch mehr Antworten finde.

Danach hatte ich unseren Bio-Wein-Lieferanten hier aus Bremen angerufen. Spontane Antwort: Dass man die Flaschen mit der Mulde besser anfassen können soll, ist Unsinn. Aber letztendlich sind die Sache mit dem Druck und mit der beim Blasen entstandenen Wölbung in der heutigen Zeit aus technischer Sicht noch mehr Unsinn. Also ist die Mulde doch nur noch aus historischen Gründen vorhanden? Aber warum? Dadurch benötigt man mehr Glas, so dass diese Form normalerweise längst im Rahmen von betriebswirtschaftlichen Optimierungen bei den Flaschenherstellern verschwunden wäre.

Offenbar scheint es die eine Antwort auf die Frage gar nicht zu geben. Die Wölbung im Flaschenboden scheint aus Tradition vorhanden zu sein und da sie offenbar zu mehreren Zwecken zu gebrauchen ist, wenngleich auch keiner davon besonders wichtig zu sein scheint, hat man die Wölbung belassen.

Was kann man denn nun mit dieser Wölbung anfangen? Nun …

1. Das mit der besseren Greifbarkeit ist wohl richtig, wird aber allgemein (überwiegend) als Unsinn dargestellt. Das kann man als Kellner dann zwar wohl mit der vorhandenen Mulde machen, aber dafür wird sie ja angeblich nicht an den Flaschen angebracht.

2. Die Begründung mit dem Druck klingt im ersten Moment nach Unsinn, aber es geht wohl nicht um die Kohlensäure wie in einer Schaumwein-Flasche. Gemeint ist der entstehende Druck, wenn der Korken ruckartig in die Flasche gestopft wird. Dabei wird die restliche Luft zwischen Korken und Getränk komprimiert. Reicht das aus, um den Flaschenboden abzusprengen? Die einen sagen definitiv ja, aber zwei Beobachtungen sprechen gegen diese Erklärung: Flaschen mit Schraubverschluss haben ebenfalls oft die Mulde im Boden, obwohl hier das Druckproblem nicht existiert. Und zweitens: Die meisten Weinflaschen haben 0,75 Liter Inhalt. Die großen Flaschen mit einem Liter, die das Mehrvolumen vor allem durch einen größeren Durchmesser erreichen, sind unten tendenziell flacher als ihre dünneren Schwestern. Dabei wäre gerade der größere Boden viel druckempfindlicher.

3. Die dritte Erklärung hat auch einen historischen Hintergrund, der heute nicht mehr relevant ist: Demnach soll die "Culot de Bouteille genannte Wölbung aus einer Zeit stemmen, der die Flaschen noch einzeln von Mund geblasen wurden. Dadurch bekam der Flaschenboden generell eher eine leichte Wölbung nach außen, in dem Fall also nach unten, was der Standsicherheit der Flaschen nicht sonderlich zuträglich war. Also haben die Glasbläser den Boden nach dem Blasen der Flasche kurzerhand wieder nach innen gedrückt, so dass nur ein schmaler Rand blieb, auf dem die Flaschen auf den meisten Untergründen sicher stehen können.

4. Dazu passend noch ein historisches Überbleibsel: Früher wurden die Flaschen wie oben schon geschrieben von Hand geblasen und um sie drehen zu können, hat man beim Boden eine Mulde erzeugt, in der dann (quasi als Lager) ein Stab steckte.

5. Mit den Mulden lassen sich die Flaschen stabiler stapeln. Ja, stapeln. Liegend können dann die Flaschen leicht ineinandergeschoben werden, was dem Paket mehr Stabilität verleiht. Unter dem Begriff "Bouteilles stockées sur Pointes" findet man ein paar Hinweise dazu.

6. Manche sagen, dass die durch die Wölbung entstehende Rille dazu dient, das sogenannte Depot (also den aus ausgefällten Stoffen entstandenen Bodensatz in der Flasche) aufzunehmen. Ob sich diese Sedimente flach auf dem Boden ablagern oder in Form eines Rings dürfte relativ egal sei, wenn man den Wein entsprechend vorsichtig dekantiert.

Es gibt sicherlich noch einige Argumente mehr für den gewölbten Flaschenboden. Warum genau die Flaschen nun so aussehen, wie sie aussehen, konnten mir sogar ein paar Fachleute nicht hundertprozentig sicher beantworten. Am wahrscheinlichsten scheint tatsächlich die Sache mit dem beim (maschinellen) Verkorken entstehenden Druck zu sein. Bei allen anderen Gründen sehe ich ausschließlich romantische Gesichtspunkte, die aber in der Glasindustrie sicherlich keine Beachtung finden würden.

Ob aus historischen oder praktischen Gründen – es wird heute immer noch so gemacht und solange der Wein nicht gerade aus dem Tetrapak kommt, ist die Form der Wölbung eigentlich auch egal. :-)

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Kommentare

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Thomas' am :

> Flaschen mit Schraubverschluss haben ebenfalls oft die Mulde im Boden, obwohl hier das Druckproblem nicht existiert.

Ja, aber ich bezweifle, dass die Glasmacher jetzt extra für Flaschen mit und ohne Gewinde unterschiedliche Maschinen haben wollen.

Rudolph am :

Danke für die Reise in die Welt der Weinflaschenböden. *lach*

Nun fehlt nur noch die ultimative Anfrage an einen großen Weinflaschenproduzent. Wenn es einer weiß, dann doch der, oder?

Kommissar am :

Zu gerne würde ich sehen, wie eine Flasche von Hand geblasen wird. ;-)

wayne am :

Wein ist teuer.
So sieht es nach mehr aus.

Horst-Kevin am :

Ein ganz plumpes Argument hätte ich noch: Es sieht nach mehr Inhalt aus.

Micha am :

Halte ich eher für nicht relevant.
Wein kommt in mehr oder weniger standartisierten Größen, 0.5 , 0.7 oder 1.0 Liter. Da lässt sich kaum jemand täuschen.
Analog beim Bier wo zwar Sonderflaschen abgefüllt werden, aber abgesehen von wenigen Ausnahmen (Pint) immer 0.33 oder 0.5 drin sind.

Diese Mogelei kommt eher bei anderen Packungen wie Kosmetik vor, wo dann krumme Mengen mit "kreativen" Packungen zusammen treffen.

kiter am :

Danke für die viele Info. Sehr interessant.

Zkfujz@gjk.de am :

Tldr bitte.

Drei Begründungen am :

1. Ist so
2. war schon immer so
3. da könnte ja jeder kommen

e.g. John Doe am :

4. Das wird man ja wohl noch machen dürfen!

Amsel am :

Schön zu lesen, wie Du nach zwei geleerten Flaschen Wein philosophierst. ;-)

redznarf am :

Wenn man den Boden in planer Form konstruiert, kann es in der Fertigung passieren, dass aufgrund der Toleranzen der Boden schon mal ein ganz klein wenig nach Außen steht und die Flasche wackelt. Also macht man zur Sicherheit eine kleine Wölbung nach innen. Vor allem, historisch gesehen, bei mundgeblasenen Flaschen. Bei Pressglas vielleicht weniger kritisch, aber man muss ja auch da den Schwund beim Abkühlen mit einrechnen. Auch Weingläser (langstielig mit potenzieller Kippgefahr) haben einen gewölbten Fuß.
Nur meine Einschätzung als Techniker (nicht aus der Glasbranche).

Mathias am :

Das wollte ich auch gerade schreiben. Selbst wenn der Flaschenboden akkurat eben ist, würde die Flasche bei jeder Unebenheit auf dem Tisch wackeln.

Mit der geringen Vertiefung im Boden steht sie wesentlich besser.

Wäre zumindest auch mein Tipp.

XenonX3 am :

Meinen Eltern, die ihren Weinvorrat immer durch den jährlichen Frankreich-Urlaub aufstocken, wurde dereinst von einem waschechten Franzosen erklärt, die Tiefe des Bodens würde für die Qualität des Weins stehen. Je weiter der Boden in die Flasche reicht, desto hochwertiger sei der Wein. Wie viel da dran ist, kann ich nicht beurteilen, da ich keinen Wein trinke. Aber wir haben immer mal darauf geachtet und festgestellt, dass teurer Wein tatsächlich eher tiefe Böden hat (ich weiß, bei Wein ist teuer nicht notwendigerweise = besser).

Enferax am :

Ich werfe mal in den Raum, dass man so nur eine Form für Flaschen vorhalten muss in der Flaschenfabrik. Dürfte auch ein Kostenfaktor sein.

Gabe am :

> ... ausschließlich romantische Gesichtspunkte, die aber in der Glasindustrie sicherlich keine Beachtung finden ...

Ach doch, die Weinindustrie speziell macht ja gerne einen auf Romantik. Der gleiche Bordeaux in einer sehr maschinell aussehenden Flasche mit rechten Winkeln und flachem Boden verkauft sich zum gleichen Preis sicher höchstens halb so gut - je höher der Preis, desto schlechter.

Das Auge trinkt (und kauft) schließlich auch mit.

("Follow the money" ist sicher auch nicht die einzige richtige Erklärung, aber sie hat gefehlt. Dabei ist sie oft völlig ausreichend.)

Anja am :

Es hat produktionstechnische/logistische Vorteile gehabt, der Mensch hat sich dran gewöhnt und will es jetzt so. Ganz einfach. Warum fangen in Deutschland Filme um 20:15 an? Auch auf Sendern ohne Tagesschau. Ist doch auch Schwachsinn. Ist genau das gleiche... Gegen Gewohnheit kommt man nicht an. Selbst Asi-RTL2 hat es wieder aufgegeben um acht seine Filme anzufangen, weil der Zuschauer es nicht angenommen hat

Sonstwer am :

Auch Sender ohne Tagesschau hätten gerne, dass die Zuschauer zu ihnen kommen um Filme zu schauen.
Gegen die Tagesschau kommen sie aber nicht an, also wird vor 20:15 Uhr nicht angefangen.
Und würden sie erst später anfangen, also so gegen 20:30, hätte sich ein Teil der Zuschauer schon an der 20:15 Uhr Sendung auf den tagesschauorientierten Kanälen "festgeguckt".

Anja am :

Sag ich ja. Pure Gewohnheit des Nutzers, kommst du nicht mit Argumenten gegen an

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