Am Mittwoch hatten wir sie auf frischer Tat erwischt, nachdem uns ihr Verhalten am Dienstag zu Recht seltsam vorgekommen war.
Nun hatten wir uns aus reiner Neugierde gestern mal die gerade noch gespeicherte Videoaufzeichnung von Montag angesehen.
Sie kam immer "gegen Mittag" und im Schnelldurchlauf der Aufzeichnungen zwischen 12 und 14 Uhr fanden wir sie dann auch. Als sie den Laden betrat, war ihre Tasche leer, als sie an der Kasse wie immer fröhlich scherzend ihren Leergutbon einlöste, war die Tasche sichtbar gefüllt. Dank der Aufzeichnung ließ sich zumindest Teilweise nachvollziehen, welche Artikel sie dort eingesackt hatte. Auch dafür wird sie also eine Anzeige bekommen.
Weiter zurück können wir mit den Aufzeichnungen nicht, aber ich glaube, da würden wir noch viele weitere Diebstähle von ihr finden …
Per E-Mail kam eine Anfrage der Kriminalpolizei Bremen. Man ermittelt im Rahmen eines Betrugs mit gestohlenen Kreditkartendaten. Mit diesen gestohlenen Daten sei bei uns eingekauft und gleichzeitig via Cashback auch 200 Euro Bargeld vom betroffenen Konto abgehoben worden.
Uns trifft keine Schuld und wir haben auch keinen Schaden erlitten. Aber ob ich zur Identifizierung des Täters oder der Täterin mit Bildern aus der Videoaufzeichnung, sofern wir denn eine haben, helfen könnte, wollte die Absenderin der Mail wissen.
Unsere Anlage speichert ganz DSGVO-konform maximal 72 Stunden und überschreibt die Aufzeichnungen dann automatisch wieder. Nach fünf Monaten war da nun beim besten Willen nichts mehr zu machen.
Ein etwa achtjähriger Junge gab Leergut an unserem Automaten ab. Ich hatte ihn auf der Videoanlage aus dem Augenwinkel dabei beobachtet, denn er war nicht nur "etwas zappelig" sondern ein Klischee-ADHS-Kind. Ständig in Bewegung und ständig an irgendwas am herumfummeln. Zum Schluss krabbelte er noch fast in den Kistenschacht des Automaten hinein.
Nachdem er fertig war, fummelte und drehte er am Griff des Flummiautomaten herum, den er zwischendurch längst entdeckt hatte. Ohne Münzeinwurf passierte aber nicht viel und so ging er weg – um nur fünf Sekunden später wieder zum Flummiautomaten zu gehen und zu versuchen, den (abgeschlossenen) Deckel zu öffnen. Klappte aber nicht, da das Schloss im Deckel genau solche Zugriffe verhindern soll. Der Junge verließ den Leergutraum.
Eine knappe Minute später kam er mit einem meiner Mitarbeiter nach hinten. Dieser kam zu mir ins Büro und erklärte mir, dass da ein Junge Geld in den Automaten gesteckt habe, aber dennoch kein Flummi rauskam. Ob ich mal gucken könnte.
"Häh?!", dachte ich. Fettgedruckt und unterstrichen (nicht klickbar). Wenn ich nicht im falschen Moment geblinzelt habe, hat der Kleine da ganz sicher kein Geld reingeworfen. Ich ging zu ihm hin, um die Sache zu klären.
"Was ist passiert?", fragte ich ihn.
"Der Automat hat meine 50 Cent geschluckt", sagte er ohne mit der Wimper zu zucken.
"Warte kurz", antwortete ich und guckte mir die Videoaufzeichnung an. Leergut, Leergutbon, Kistenschacht, am Griff fummeln, weggehen, am Deckel fummeln, weggehen, mit dem Kollegen wiederkommen. Kein Geld reingesteckt.
Ich ging wieder das Treppchen runter und fragte den Jungen noch einmal: "So, jetzt noch mal ganz von vorne. Was genau ist passiert?"
Der Junge wiederholte, dass der Automat "seine 50 Cent" geschluckt hätte und blieb auch bei der Aussage, als ich ihm sagte, dass mir das nicht so vorgekommen sei. "Wenn ich jetzt deine Mutter herbestellen und ihr unsere Videoaufzeichnung zeigen würde", bei diesen Worten deutete ich mit dem linken Zeigefinger auf die Kamera in der Ecke über dem Leergutautomaten, "was würden wir dann sehen?"
"Dass ich Geld reingesteckt habe."
Okay, noch ein Versuch …
"Hast du das gemacht, bevor oder nachdem du Leergut abgegeben hast?", wollte ich noch wissen. Nicht, dass wir aneinander vorbei reden und ich den Kleinen um sein Geld, bzw. den erwünschten Flummi bringe. "Danach", antwortete er. Ich bat ihn darum, noch einmal kurz zu warten und ging mit meinem Mitarbeiter zurück ins Büro. Mit insgesamt vier Augen sahen wir uns seinen kompletten Aufenthalt hier beim Leergutautomaten an, Leergut, Leergutbon, Kistenschacht, am Griff fummeln, weggehen, am Deckel fummeln, weggehen, mit dem Kollegen wiederkommen – und waren hinterher 100% sicher, dass er kein Geld, wirklich definitiv kein Geld, nichts, nada, nothing, rien, einfach absolut nix in den Automaten gesteckt hatte.
"Na, das wollen wir doch mal gucken, was seine Mutter dazu sagt", meinte ich zu meinem Mitarbeiter und wir gingen zum Flummiautomaten, wo der Junge wartete. Verzeihung, anfänglich gewartet hatte. Inzwischen stand er an der Kasse und wollte seinen Leergutbon einlösen.
"Wo ist denn jetzt deine Mutter?", fragte ich ihn und er zeigte durch das Schaufenster auf den Gehweg, wo eine Frau mit Kinderwagen stand. Ich ging zu ihr hin, der Junge folgte mir und nachdem sie überrascht gefragt hatte, was los sei, meinte ich zu ihr, dass ihr Sohn versuchen würde, uns zu verarschen.
"Natürlich stimmt das", erklärte ich und blickte zu seiner Mutter, "er behauptet, Geld in den Flummiautomat gesteckt und keinen Flummi bekommen zu haben und fordert das Geld von uns nun zurück."
"Habe ich ja auch."
Ich staunte, dass er jetzt immer noch an dieser Lüge festhielt. "Pass mal auf, wir haben das mit zwei Leuten auf dem Video gesehen. Wir sind doch nicht blöd."
"Vielleicht ist die Kamera ja blöd", konterte er.
(Boah, was für eine unerträgliche Mistmade …)
Netterweise klinkte sich die Mutter mit ein und fuhr in an: "Welches Geld denn überhaupt? Du hast doch gar kein Geld dabei gehabt?!" "Mein Taschengeld", antwortete er, aber seine Mutter glaubte ihm wohl ebenfalls nicht und verwies auf das zu Hause folgende Gespräch mit dem Papa.
"Klären Sie das einfach mit ihm, ich bin hier jetzt raus", sagte ich und ging wieder zurück in dem Markt und musste mich mal eben beim Schreiben dieser Zeilen abreagieren.
Wenn die Polizei die Videoaufzeichnung von einem Ladendieb haben möchte, bereite ich die Daten normalerweise so vor, dass man den Weg durch den Laden verfolgen kann. Das geht immer relativ schnell, ich brauche ja nur die Videodateien der einzelnen Kameras in der richtigen Reihenfolge im Schnittprogramm einzufügen und dann die Spuren entsprechend zu kürzen, wenn der Täter den Sichtbereich verlässt.
Nun hatten wir einen Ladendieb, der sich eine dreiviertel Stunde hier im Markt aufgehalten hat. Eine dreiviertel Stunde, in der er ständig in Bewegung war und hier von Gang zu Gang hin und her ging. Wenn ich das so aufbereiten möchte, dass man den Weg vollständig verfolgen kann, verbringe ich mehrere Stunden damit.
Da bekommt die Polizei von mir also mal nicht eine besonders ausführliche, sondern eine sehr abgespeckte Version aus der Videoaufzeichnung. Die beiden Stellen, an denen sich der Täter die Ware in die Jacke, bzw. Hose stopft, und wie er am Schluss die Kasse passiert, ohne die Sachen zu bezahlen und dann von uns gestellt wird.
Vor ein paar Tagen hat ein Typ sich eine Flasche Absolut Vodka in die Jacke gesteckt und wollte, ohne diese Flasche zu bezahlen, den Laden verlassen. Der Alarm der Warensicherungsanlage löste aus, dann versuchte der Mann schnell, die Flasche unauffällig wieder im Laden verschwinden zu lassen, dabei wurde er jedoch von einem Kollegen beobachtet und gestellt. Es folgte das übliche Prozedere mit Polizei, Anzeige und Hausverbot. So weit war der Vorgang nicht besonders erwähnenswert.
Die Polizei wollte ein Video von dem Vorgang haben, doch das Vorhaben gab ich irgendwann auf. Bevor sich der Mann überhaupt an dem Alkohol vergriff, wanderte er minutenlang ziellos oder zumindest scheinbar ziellos durch den Laden (unnützes Videomaterial). Guckte hier, guckte da. Dann nahm er die Flasche Absolut aus dem Regal und wanderte auch damit wieder ein paar Minuten hin und her (unnützes Videomaterial). Schließlich versuchte er relativ umständlich und nicht weniger langatmig, um das Warensicherungsetikett etwas Aluminiumfolie herumzutüdeln. Schließlich steckte er sie in mehreren Anläufen in seine Jacke. Er hatte aus strafrechtlicher Sicht dabei relativ viel Glück, denn im Grunde auf keiner unserer Kameras war konkret zu sehen, wie er DIE Flasche in SEINE Jacke steckte (unbrauchbares Videomaterial).
Nachdem die Warensicherungsanlage trotz der vermeintlich abschirmenden Aluminiumfolie Alarm auslöste, ging der Mann wieder schnell in den Laden, um sich unauffällig von der verräterischen Flasche zu trennen. Das klappe jedoch nicht so einfach, denn ein Kollege ging die ganze Zeit hinter ihm her. So wanderten sie durch den ganzen Laden (unnützes Videomaterial) und blieben schließlich in einem Bereich stehen, der überhaupt nicht unmittelbar von einer Kamera eingesehen werden kann. Da standen sie dann über zehn Minuten herum und haben hin und her diskutiert, bis schließlich die Polizei kam. Da packte der Mann dann auch schließlich die Flasche aus.
Klar hätte ich der Polizei über zwanzig Minuten Videomaterial aus allen Kameras liefern können, aber die Arbeit (und den DVD-Rohling) habe ich mir nun einfach mal erspart. Es ist natürlich auch immer in meinem Interesse, wenn Ladendiebe die paar Konsequenzen für ihre Taten tragen müssen, aber die Aufzeichnung hätte in diesem Fall nun überhaupt nicht weitergeholfen. Dass das Material so gar nicht zu gebrauchen ist, haben wir aber auch ausgesprochen selten …
Was ist das denn, dachten wir beim Blick auf die Life-Ansicht der Videoanlage. Irgendwas krabbelte da doch auf einer der Kameras hin und her.
Es war eine ganz profane Fliege:
… und hier die Ansicht auch mal für euch. Inklusive mir gegen Ende des Videos, wie ich auf einer Leiter stehend das oben abgebildete Foto kreiert habe.
Ich wollte eigentlich nur etwas auf der Videoaufzeichnung nachsehen, als mir eine Maus auffiel, die frech hinter einem Regal in der Getränkeabteilung hervorlugte.
"Ich hab nix eingesteckt", versuchte sich der Mann zu verteidigen, aber was wir mit eigenen Augen gesehen hatten (und auch auf der Videoaufzeichnung zu erkennen war), sprach eindeutig gegen ihn und so hielten wir ihm vor dem Ausgang des Marktes an und ließen ihn auch erst mal nicht mehr raus. Es stellte sich in der Folge heraus, dass er tatsächlich ohne die Bierdose, die er zunächst unter seinem Oberteil verschwinden lies, den Markt verlassen wollte. Vermutlich war er aufgrund unserer Mitarbeiterpräsenz misstrauisch geworden und hatte die Dose in der Nähe der Kasse wieder abgestellt.
Vielleicht hätten wir ihn einfach so rausgeworfen und ihm noch ein Hausverbot mit auf den Weg gegeben. Es folgte aber dennoch eine Anzeige wegen des vollzogenen Diebstahls. Das mag kleinlich wirken, aber bei der Steilvorlage mussten wir es einfach tun. Immerhin hat Typ gleich, als wir ihn ansprachen, selber sein Handy gezückt und die Polizei angerufen, um uns wegen "Freiheitsberaubung" anzuzeigen – und da die Beamten schon mal da waren, haben wir den Spieß einfach mal umgedreht.
Ende Juni hatten wir nicht nur die Kamera in der Gemüseabteilung angebraucht, sondern auch noch eine zu den Spirituosen und eine weitere, die den gesamten "Wartebereich" vor der Kasse im Blick hat. Damit sind die wichtigsten Stellen erst mal über die neuen Full-HD-Kameras einsehbar, der Rest kommt jetzt so nach und nach, damit wir endlich den alten Rekorder außer Betrieb nehmen können.
Eine der wichtigsten Kameras hier im Markt ist nun auch endlich von uns auf hochauflösend und mit Netzwerkanbindung umgerüstet worden: Der Blick zum Eingang, der einem (Ines und mir mit unserem Spürsinn für solche Leute zumindest) diese unglaublich wichtige Möglichkeit bietet, potentielle Ladendiebe schon beim Betreten des Marktes zu erkennen, bevor sie überhaupt einen Schaden verursachen können.
Ich war dabei, Wein zu packen, als ein Typ mit Rucksack in mehreren Metern Entfernung an mir vorbeiging, den Weg zur Kasse einschlug und direkt den Laden verließ.
Richtig gesehen habe ich den jungen Mann nur maximal zwei Sekunden. In der Zeit hatte ich ihn schon als Ladendieb, mindestens aber verdächtig eingestuft. In dem Moment konnte ich nichts mehr ausrichten, aber ich sah mir seinen Weg durch den Laden mal genauer auf der Videoaufzeichnung an. Als hätte ich es geahnt: Er hatte seinen Rucksack mit den unterschiedlichsten Waren aus dem Kühlregal, vor allem Käse, gefüllt und diese natürlich nicht bezahlt.
Aber wir haben ein paar schöne Bilder von ihm (in besserer Belichtung, Schärfe und von vorne) und wenn er wieder reinkommen sollte, wird er hoffentlich weniger Erfolg haben.
Zusammen mit einem Kunden betrachteten wir aufgrund einer vermeintlichen Differenz beim Wechselgeld im Büro die Videoaufzeichnung von seinem Bezahlvorgang.
Plötzlich befahl er: "Jetzt ranzoomen und schärfer stellen!"
Oh, gerade schon der zweite Anruf der Polizei innerhalb einer Woche mit der Bitte, doch die gebrannten CDs mit den Videoaufzeichnungen unterschiedlicher Ladendiebstähle einzuschicken, damit die Sache an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden kann.
Ist halt momentan etwas stressig in der Firma, dazu kommt, dass das alles Diebstähle von geringwertigen Sachen waren, die ohnehin relativ folgenlos für die Täter bleiben werden. Da hat das bei mir im Kopf nicht die größte Priorität.
Nach seiner Mittagspause sprach mich einer meiner Mitarbeiter an und berichtete, dass er auf der noch von ihm zu packenden Getränkepalette die leere Packung eines Thermometers aus unserem Haushaltswarenregal gefunden hat. Allerdings konnte er mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass die Packung da vor seiner Pause noch nicht lag. Doch wie war die aufgerissene Blisterpackung da hingekommen? Immerhin ließ sich der fragliche Zeitraum auf eine knappe dreiviertel Stunde eingrenzen und so arbeiteten wir uns langsam durch die Videoaufzeichnung.
Im Gang mit den Haushaltswaren ist meistens nicht so viel los und daher begonnen wir dort mit unseren Ermittlungen. In den ersten 20 Minuten passierte gar nichts, aber schließlich tauchte ein langjähriger Stammkunde vor dem Regal auf. Nach einigen Augenblicken griff er zu den Thermometern und warf die flache Blisterpackung in seinen Einkaufswagen. Ach..?
Wir guckten weiter: Nach einem kleinen Rundgang durch den Laden versuchte er schließlich, sich hinter einem der Pfeiler hier zu verbergen. Dabei fummelte er eine ganze Weile in seinem Einkaufswagen herum. Dann drehte er sich um, deponierte irgendeinen hellen Gegenstand auf besagter Getränkepalette und ging zur Kasse. Dort bezahlte er zwar ein paar Lebensmittel und definitiv kein Thermomenter, was auch meine Mitarbeiterin, die ihn als letzten Kunden hatte, bestätigen konnte. Es fasste bis zum Ende der Pause meines Mitarbeiters auch kein anderer Kunde die Getränkepalette an, die Option ließ sich also auch ausschließen.
Zu dritt standen wir vor dem Monitor der Videoanlage und guckten uns erstaunt wie ungläubig an.
Und nun? Ich hatte spontan keine Idee. Der Mann kommt fast täglich hierher und wie sollte ich ihn beim nächsten Besuch ansprechen? Wenn mir bis dahin nichts Sinnvolles einfällt, werde ich improvisieren müssen. Aber ihn einfach kommentarlos weiter einkaufen lassen, kann ich auch nicht.