Ob ich Interesse daran hätte, mehr Geld zu verdienen, fragte sie am Telefon. Mit "wenig bis gar keiner" Arbeit könnte ich mir durch den Aufbau eines "Vertriebsnetzes" eine sichere Existenz aufbauen, mit der ich einer sorgenfreien Zukunft entgegen sehen könnte. Nein, sie ist kein "Headhunter" und es würde sich bei dem "System" auch nicht um ein Schneeballsystem handeln. Ich könnte selber entscheiden, wie weit ich mein Netz, meine "Pipelines" in den 80 Ländern, in denen das Unternehmen aktiv sei, verlegen möchte. "Mehr Freizeit" war das Hauptargument um mich für den Vertrieb der Produkte von über 1000 Produzenten zu begeistern, aber auch "mehr Freiheit", "Reisen", "schöneres Zuhause", "finanzielle Sicherheit" und noch einige Dinge mehr, die sich im Grunde jeder im Überfluß wünscht.
"Naja", dachte ich mir. "Ansehen kann man sich die Sache ja mal." - und so vereinbarten wir für gestern Nachmittag einen Termin hier im Laden. Ich muß zugeben, daß Frau J. eine sehr sympathische und gut aussehende Frau ist - aber so wirklich überzeugen konnte sich mich nicht von der Sache. Sie berichtete weiter: "Networking" sei sogar ein Studiengang an der FH in Worms und die IHK würde ebenfalls mit ihnen zusammenarbeiten. Das klingt ja schonmal recht seriös.
Sie berichtete weiter, daß seit 30 Jahren mit dem System von "Network 21" Leute vom "Selbständigen" (viel Arbeit) zum "Unternehmer" (viel Freizeit) verwandelt werden.
Frau J. gab mir noch ein Buch, das ich mir mal in Ruhe duchlesen oder wenigstens überfliegen sollte. Das 143seitige Paperback sei von einem "neutralen Marketingprofessor" geschrieben und wäre der definitive Beweis für die Richtigkeit des Network-Marketing. Den Eindruck der Neutralität hatte ich allerdings nicht: Der liebe Professor benutzt in dem Buch Fachausdrücke der Firma "Network 21", ohne sie näher zu erläutern. Ein interessierter Leser ohne weitere Informationsmöglichkeiten bleibt streckenweise im Unklaren darüber, was mitunter in dem Buch genau gemeint ist. Abgesehen davon kam mir das ganze Buch wie eine Gehirnwäsche vor. 143 Seiten in einem Stil, den auch der auf "lustigen Ausflugsfahrten" ( "Mit Verkaufsveranstaltung - Teilnahme freigestellt!" ) Heizdecken und Magnetarmbänder verkaufende Lieblingsschwiegersohn benutzt. Rethorische Fragen ("Wollen Sie nicht auch xyz sein, haben, machen?" - Klar, natürlich wollen wir. Das will jeder!) am laufenden Band und bergeweise Floskeln und Rhabarberkompott:
· Obwohl Zeit-gegen-Geld-Pläne einem harte Arbeit abverlangen, kann nur der
Residualeinkommensplan zum ultimativen Ziel zeitlicher und finanzieller Freiheit führen.
· Der Geschäftsplan für
Das Geschäft schafft Vermögen, weil er Menschen dafür belohnt, dass sie raffinierter, nicht billiger einkaufen und dann anderen beibringen, das gleiche zu tun.
·
Das Geschäft funktioniert als System von Gewinnbeteiligungen. Darum sind Gewinne so wichtig.
· Sie wollen nicht als Arbeitnehmer behandelt werden!
· Sie sind es müde und leid, leid und müde zu sein.
· usw...
Zu dem Thema habe ich im Web einige Diskussionen gefunden und
viele, sogar
sehr viele Meinungen gelesen. Es scheint tatsächlich so zu sein, daß
einige mit dem System bequem zu Geld gekommen sind. Die
meisten Teilnehmer dürften bei diesem Prinzip allerdings auf der Strecke bleiben.
Wenn das alles so toll ist, dann frage ich mich, warum Frau J. nicht längst irgendwo in der Karibik am Strand liegt und sich so verwöhnen läßt, wie sie es verdient hat. Freiwillige gäbe es sicherlich genug - und wenn nicht, bräuchte sie bloß ihre Visa-Karte aus dem Bikini zu ziehen und alle würden ihr zu Füßen liegen. Nein, stattdessen reist sie durch die Gegend und versucht, Leute dafür zu begeistern, zwar einerseits knallharte Geschäftsleute zu werden, aber dann nicht gegeneinander, sondern miteinander zu arbeiten. Das klingt dermaßen naiv, daß sich mir die Nackenhaare aufstellen. Sorry, aber wenn ich die ultimative
risikolose(!) Geschäftsidee hätte, würde ich sie nicht mit jemandem teilen. Zumindest nicht per Aquise mit wildfremden Leuten.
Ich werde ihr am Samstag das Buch zurückgeben und mich für das freundliche Gespräch bedanken. Interesse an einer Zusammenarbeit mit
Network TwentyOne habe ich nämlich in keinster Weise.